SCHWARZ|WEISS

Wasser und andere Perspektiven

16.05.2025 19.30 Uhr Richard-Jacoby-Saal HMTM Hannover



Lausche ich der Stimme in meinem Kopf, so redet sie permanent. Am liebsten setzt sie mich in Bezug, vergleicht, zieht Grenzen zwischen mir und meiner Umgebung. Sie verortet Worte, Menschen, Situationen an einen mir angebracht erscheinenden Platz meines Weltbildes. Richtig, falsch, gut, schlecht, schwarz oder weiß? 

 

Was sagt deine Stimme zu dir? Jetzt? 

 

Was bedeutet es, wenn sich individuelle Wahrheiten in Gesellschaft manifestieren und multiplizieren? Es bedeutet die klare Abgrenzung von anderen und damit Ausgrenzung. Es bedeutet Einfachheit statt Komplexität, Einheitlichkeit statt Vielfalt. Im musikalischen Kosmos bedeutet es, Werke in einen verbreiteten, im Konsens gut befundenden Kanon zu übertragen und diesen zu repetieren. Es bedeutet, die Grautöne darin, die nicht konformen Existenzen und Minderheiten auszublenden. 

 

In drei Semestern Recherchearbeit zum Thema Komponistinnen, People of Colour und Gender versuchten wir, dem entgegen zu wirken, ungehörte Kompositionen aufzufinden und aufs Podium zu bringen. Im Rahmen dieser Arbeit konnte, unterstützt durch das Dorothea-Erxleben-Stipendium, ein Kompositionsauftrag an El Lukijanov vergeben werden. Das daraus entstandene Werk erlebt an diesem Abend seine Uraufführung.

Die ausgewählten Lieder beschäftigen sich thematisch mit der Erfahrung von Gewalt und Krankheit, handeln von vorgezeichneten Lebenswegen und zerplatzten Träumen, sie beschreiben das Leid von Stigmatisierung und Diskriminierung, doch rufen auch zu Einheit und Sichtbarkeit auf. 

 

Ein wiederkehrendes Motiv in den Texten ist das Wasser – als Regen, als Schnee, im Fluss.  

Es steht im Kontrast zu den oft harten und schmerzvollen Erfahrungen, die in den Liedern thematisiert werden.

Wasser verweigert sich der Bewertung, es fließt, trägt, wandelt sich – und symbolisiert so auch die uneingeschränkte Daseinsberechtigung jeder Identität, jeder Geschichte.

 

Die begleitenden Videos, aufgenommen aus sehr unterschiedlichen Perspektiven von Studierenden, eröffnen weitere Erfahrungsräume und tauchen den Abend in ein filmisches Gesamterlebnis. Sie zeigen eine Vielzahl an persönlichen Blickwinkeln und eröffnen damit Momente von Mehrstimmigkeit, von Unschärfe, von Farbenreichtum: eine Einladung, die Welt nicht nur mit den Ohren, sondern auch mit den Augen neu zu sehen.

 

Gleichzeitig offenbaren sie, dass wir Diskriminierungs- und Rassismussensibilisierung stets nur von unserer eigenen Situiertheit, Identität und Sozialisierung aus begegnen können. Wir beschäftigen uns hier mit unserer eigenen Verletzlichkeit innerhalb einer doch privilegierten Position — ausgrenzende Rassismuserfahrungen wollen wir uns nicht aneignen. Die Darstellung von Haut beschränkt sich aus diesem Grund hauptsächlich auf unsere eigene: weiß, light skinned, oder white passing.

 

Wer ist diese Stimme und könnte sie die Dinge ihrer Umgebung nicht wie Wassertropfen betrachten? Einzigartig, individuell, wertungsfrei.


Kaija Saariaho - il pleut 

 

Il pleut des voix de femmes comme si elles

étaient mortes même dans le souvenir

c'est vous aussi qu'il pleut merveilleuses

rencontres de ma vie ô gouttelettes

et ces nuages cabrés se prennent à hennir

tout un univers de villes auriculaires

écoute s'il pleut tandis que le regret et

le dédain pleurent une ancienne musique

écoute tomber les liens qui te retiennent

en haut et en bas

 

Guillaume Appolinaire 

 

Eve Beglarian - Fireside 

 

When I sit by the side of the blazing fire

On a cold December night,

And gaze at the leaping and rollicking flames

As they cast their flickering light

I see what I would be in future years,

If my wishes and hopes came true,

And the flames form pictures of things that I dream,

Of the deeds that I hope to do.

One tall yellow flame darts above all the rest,

And I see myself famed and renowned,

A poetess I, and a novelist too,

Who is honored the whole world around.

That flame then grows dim, which to me seems to say,

That my first hope must soon die away,

Then another one darts on a great opera stage,

The most exquisite music I play.

And then, after many flames rise, and die down,

The first burns even and slow,

And I see myself singing to children my own,

On the porch of a small bungalow.

Oh, I dream, and I dream, until slowly the fire

Burns lower, grows smaller, less bright,

Till the last tiny spark has completely gone out,

And my dreams are wrapt up in the night.

 

Ruth Crawford, age 13

 

Ruth Crawford Seeger - White Moon 

 

White Moon comes in on a baby face.
The shafts across her bed are flimmering.
Out on the land White Moon shines,
Shines and glimmers against gnarled shadows,
All silver to slow twisted shadows
Falling across the long road that runs from the house.
Keep a little of your beauty
And some of your flimmering silver
For her by the window tonight
Where you come in, White Moon.

 

Carl Sandburg 

 

El Lukijanov - Vergib mir nicht (UA)

El Lukijanov (*1983) ist Komponist, Lyriker, Sozialarbeiter und Aktivist mit moldauischer Herkunft. Seine musikalische Ausbildung begann in der Heimatstadt Tighina mit Klavier- und Violinunterricht und fand zuletzt in Karlsruhe bei Wolfgang Rihm und Markus Hechtle statt. 

Heute arbeitet El Lukijanov hauptsächlich als Aktivist und Sozialarbeiter in feministischen und queeren Organisationen. 

El pausiert zur Zeit vom Komponieren und sucht nach Alternativen zum gelernten Musik- und Kunstverständnis.

 

Tropft ein Organ

Spritzt Speichelsplitter

Wir sprechen Scham

Eins wolle Kontrolle

Was Du liest

Wie wir Beweisführung erlernten

Kinder müssen daher häufiger ermahnt Ermahnungen verrichten.

Als wenn.

 

Die Alten bangten abgehängt

Generationen hingen abgebangt.

Etwa.

 

Dein Panic Button, zweites Chromosom

Ne abgestiegene Fortpflanzungsstufe

Hinauf zum Denkstillstand

Wenngleich,

Ich kann doch nichts dafür.

 

U-huh. — mmh-hm.

Mm mm mhmhmhmh

Vergib mir nicht.

 

Wie kannst du deiner bis aufs Blut

In Wehenschmerz gekrampften Mutter

So lang du deine Füße unter

Gründerväterlich besamtem Boden.

 

Hier soll’s aus meiner Seele

Raus vibrieren.

Haben wir mit Fleiß entlernt.

Soll tief in eure Seelen spucken

Mein Speichel als

Gestockte Götterspeisewürfel

Und ihre Farben tragen Namen

Und ihre Namen sind gewollt, gewusst, erkannt, gelernt.

Hier sollen diese Glibberstücke tanzen.

Mein Fuß, mein Fuß kennt keinen Takt.

 

Und ja, wir sind ein Alter

Schichten, Fort- und Eingepflanzter

Erlittene, erkämpfte Ichs

Gesplitterte, Hineingespuckte,

Entzweiung Hingefolterte

Spürst Du, wie diese Kiesel an deinen Waden wackeln

Und hängen Distelkugeln noch an ihren Haaren

Oder magst Du deine Identität lieber rasiert?

Fühlst Du schon das Glühen

Deiner Körperflüssigkeiten

Unter Deiner Sohle

Wie es durch Krusten bricht

Und Dir bis unter

Deine Oberlippe steigt?

 

U-huh. — mmh-hm.

Mm mm mhmhmhmh

 

El Lukijanov, 2024 

 

El über "Vergib mir nicht": 

“Vergib mir nicht” ist ein Stück für Stimmen und Klavier*e. Während der gleichnamige Text sich mit dem Verhandeln von Geschlechterbinarität beschäftigt, verhält sich der instrumentale Anteil dazu wie eine gnadenlos dystopische Form. Die Komposition ist minimal gesetzt, die auch sprechenden Singstimmen können von den Sänger*innen je nach Lage und Ausprägung oktaviert gesungen werden, auch sind die Stimmen nicht gegendert. Stattdessen wird allen Musizierenden die Ausgestaltung (z.B. Verteilung der Parts) überlassen. Die Klavierstimme kann ebenfalls von einem oder mehreren Klavieren ausgeführt werden. Sie umkreist immer wieder zwei Noten: Trotz so vieler Tasten und denkbarer Möglichkeiten scheint das Klavier nur auf diese beiden Noten fixiert zu sein.

Meine Komposition verhält sich ein bisschen wie tonal unter Gewaltandrohung.

 

 

Soap&Skin - Me and the Devil 

 

Early this morning

When you knocked upon my door

Early this morning

When you knocked upon my door

And I said hello Satan, ah

I believe it is time to go

Me and the devil walkin′ side by side

Me and the devil walking side by side

And I'm gonna see my man

Until I get satisfied

See, see, you don′t see why

And you would dog me 'round

See, don't see why

People dog me around

It must be that old evil spirit

So deep down in your ground

You may bury my body

Down by the highway side

You may bury my body

Down by the highway side

So my old evil spirit

Can Greyhound bus that ride

So my old evil spirit

Can Greyhound bus that ride

 

Robert Johnson 

 

Matthew Aucoin - Crossing Brooklyn Ferry 

 

Flood-tide below me! I see you face to face! 

 

And you that shall cross from shore to shore years hence...

You others who are to follow me...

I see now the ties between me and you. 

 

The current rushing so swiftly, 

Swimming with me far away...

 

You others...you are more to me than you might suppose. 

 

Just as you feel when you look on the river...so I felt. 

It was the same to me as it is to you. 

 

What is it, then, between us? 

What is the count of the scores or hundreds of years between us? 

Whatever it is, it avails not. 

 

Flow on, river! flow with the flood-tide, and ebb with the ebb-tide! 

Gorgeous clouds of the sunset!...

We receive you with free sense at last. 

 

Frei adaptiert nach dem Gedicht "Crossing Brooklyn Ferry" von Walt Whitman 

 

Chris DeBlasio - Walt Whitman in 1989

 

Walt Whitman has come down

today to the hospital room;

he rocks back and forth in the crisis;

 

he says it’s good we haven’t lost

our closeness, and cries

as each one is taken

 

He has writen many lines

about these years: the disfigurement

of young men and the wars

 

of hard tongues and closed minds.

The body in pain will bear such nobility,

but words have the edge

 

of poison when spoken bitterly.

Now he takes a dying man

in his arms and tells him

 

how deeply flows the River

that takes the old man and his friends

this evening. It is the River

 

of dusk and lamentation.

“Flow.” Walt says. “dear River,

I will carry this young man

 

to your bank. I’ll put him myself

on one of your strong, flat boats,

and we’ll sail together all the way

through evening.”

 

Perry Brass

 

Cecilia Livingston - Snow 

 

No breath of wind,

No gleam of sun –

Still the white snow

Whirls softly down

Twig and bough

And blade and thorn

All in an icy

Quiet, forlorn.

Whispering, rustling,

Through the air

On still and stone,

Roof, - everywhere,

It heaps its powdery

Crystal flakes,

Of every tree

A mountain makes;

‘Til pale and faint

At shut of day

Stoops from the West

One wint’ry ray,

And, feathered in fire

Where ghosts the moon,

A robin shrills

His lonely tune.

 

Walter de la Mare 

 

Eve Beglarian - Calling on all silent minorities

 

HEY

C’MON

COME OUT

WHEREVER YOU ARE

WE NEED TO HAVE THIS MEETING

AT THIS TREE

AIN’ EVEN BEEN

PLANTED

YET

 

June Jordan